Was bedeutet uns der Spirit im DOSB?

Rede von Geschäftsführer Jörg Benner anlässlich der 35-Jahrfeier des DFV am 8.11.2025 in Bensheim

And the spirit – don’t you fear – you can hear – just be near it
– with every call – foul, out, down, stall
.

Als ich gefragt wurde, hier eine Rede zu halten, war relativ schnell klar, dass ich über die Bedeutung des Spirits sprechen sollte. Trotz der offenbar naheliegenden Vermutung musste ich in der Tat länge darüber nachdenken, worüber könnte ich hier sprechen?

Worüber ich nicht sprach?
  • Etwa über die unterschiedliche Sichtweise, ob der Spirit eher etwas Unfassbares ist, ein Teil des familiären Miteinanders und der Umgangsweise, die ungeschriebenen Gesetzen folgt? Oder doch eine ganz handfeste Verhaltensvorgabe, die sich vor allem im praktisch anwendbaren Streitschlichtungsverfahren zeigt, wie wir mit strittigen Situationen und miteinander umgehen, und die sogar per Algorithmus bewertet wird?
  • Oder über die gravierenden Unterschiede der Verwendung des Spirit-Begriffs in den verschiedenen Frisbeesportarten? Im Discgolf konkurrieren Begriffe wie der Code der Discgolfer*innen, die Etikette, das Durchsetzen regelkonformen Verhaltens und der Spirit of the Game miteinander.
  • Dennoch ist allen Frisbeesportarten gemeinsam – dass wir sie ohne externe Schiedsrichter*innen spielen, – dass dafür eine fortgeschrittene Regelkenntnis – und ein respektvoller Umgang miteinander notwendig sind.
  • Oder aber über die Schwierigkeiten, den Spirit of the Game in den verschiedenen Frisbeesportarten flächendeckend ins Training zu integrieren?
  • Ich hätte auch einfach aus meinem Buch „Schwebeträume“ zur Geschichte des Frisbeesports mit Schwerpunkt auf Deutschland lesen können.
  • In diesem Jahr hatte ich Gelegenheit einen Spirit of the Game-Workshop mit dem Handball-Verband Niedersachsen-Bremen durchzuführen, der eine 5-aside-Spielform aus Dänemark bei sich eingeführt hat, ohne externe Schiedsrichter*innen. Sie kamen auf den DFV zu, weil wir als Expert*innen in dieser Angelegenheit gelten. Viele Aspekte des Spirit of the Game, wie er im Ultimate festgelegt ist, kamen sehr gut an, wobei es doch unterschiedliche Meinungen darüber gab, ob eine gegenseitige Spirit of the Game-Bewertung sinnvoll oder den Aufwand wert ist. Ich denke, sie ist es wert.

    Interessanterweise besagt ein Teil des Spirit of the Games, wie er schon 1744 im schottischen Hochland im Golfsport eingeführt wurde: Einerseits sind diese Regeln von den Altvorderen überliefert und müssen geschützt werden, andererseits sind sie aber auch nicht in Stein gemeißelt, das heißt, es gibt immer wieder auch nötige Änderungen daran vorzunehmen.

    Insofern besteht ein Teil des Spirits nicht nur in der Toleranz der anderen Meinung, sondern auch in der Toleranz dessen, dass Regeländerungen notwendig werden könnten.

    Auch der Weltverband WFDF aktualisiert alle vier Jahre die Ultimate-Regeln. 2021, vor gut vier Jahren wurden auch im Regelabschnitt 1 zum Spirit of the Game mehrere Regeländerungen vorgenommen. So gab es die Erweiterung des Punktes 1.2 „Wir gehen davon aus, dass niemand absichtlich die Regeln verletzt.“ 1.2.1 räumt erstmals die mögliche Existenz schwarzer Schafe ein und bietet die Lösung eines solchen Vorfalls unter Hinzuziehung der Captain beider Teams. Auch wurde die Bestimmung eines oder einer Spirit-Captains pro Team verpflichtend. Weitere Unterpunkte im Regelabsatz 1 wurden neu bestimmt.

    Tatsächlich waren im Handballverband Niedersachsen-Bremen einige Ältere, die diese Toleranz gegenüber Änderungen von Regelwerken vermissen ließen. Ich habe mich sehr gefreut, dass die jüngeren Verbands-Manager*innen offen dafür waren, aus meiner Sicht ganz im Sinne des Spirit of the Game…

    Toleranz gegenüber Veränderungen

    …beweist auch der DFV in seiner bislang 35-jährigen Geschichte. War es in den 1990er- und 2000er-Jahren vor allem der Sport Ultimate, der zu Wachstum führte, ist in den vergangenen Jahren dagegen vor allem Discgolf der Wachstumstreiber des DFV geworden. Waren früher mit dem Frisbeesport eher Nonkonformismus und Organisationsferne verbunden, so hat der DFV nun den Schritt genommen, als 102. Organisation Mitglied im hohen Haus des Deutschen Olympischen Sportbunds zu werden.

    • Diese Entwicklung sehen sicherlich einige Spieler*innen auch kritisch.
    • Sei es dass manche Discgolfer*innen vorrangig auf ihr PDGA-Rating schauen.
    • Sei es, dass einige Ultimate-Spieler*innen denken, macht es nicht komplizierter als es ist! Acht Hütchen zur Markierung zweier Endzonen, eine Scheibe und los geht’s!
    • Oder sei es, dass einige Freestyler*innen kein Bedürfnis sehen, sich überhaupt einer Organisation anzuschließen.

    Doch der DFV hat es geschafft als offizieller Sportverband in Deutschland anerkannt zu werden, mit insgesamt mehr als 10.000 registrierten Mitgliedern bundesweit, mit acht Landesverbänden Frisbeesport, die auch als Mitglieder ihres jeweiligen Landessportbunds aufgenommen wurden, und mit sehr viel Geduld, wie ich aus eigener Perspektive sagen kann.

    Was hat die Aufnahme in den DOSB
    und zugleich die Aufnahme der DFV-Jugend
    in die Deutsche Sportjugend dsj mit dem Spirit zu tun?

    Da fallen mir spontan fünf Anknüpfungspunkte ein.

    Der 1. Punkt ergab sich, als der DFV noch ohne Mitglied zu sein 2024 an der DOSB-Vielfaltstour teilnehmen durfte.
    Alle Kinder einer Klassenstufe einer Schule an den zehn Standorten der Fußball-EM der Männer führten Workshops und Turniere in vier Sportarten durch. Dabei wurden für alle Kinder jeweils Murmeln entsprechend den Platzierungen in den Sportarten vergeben – aber eben auch entsprechend den Platzierungen bei der Spirit of the Game-Bewertung. In diesem Rahmen ist auch ein 4 Folien-Dokument entstanden, das in den Sport Ultimate samt Erläuterung des Spirit of the Game und der gegenseitigen Fairplay-Bewertung einführt.
    Die 2. Anknüpfung entsteht durch die erwartete Anerkennung der DFV-Ausbildungsordnung.
    …die hoffentlich in Kürze erfolgt, sodass DFV-lizenzierte Trainer*innen dann endlich offiziell eine C-Lizenz erwerben. Der rote Faden der DFV-Ausbildung ist, zusammen mit dem Sinn im Sport-Konzept, der Spirit of the Game. Und nun fordert der DOSB ein „Kompetenzmodell“ in der Ausbildung ein, nach dem in der C-Lizenz mehr praktische „Anforderungssituationen“ im Mittelpunkt stehen sollen. Die Nachbesserung bedeutet zwar wieder Arbeit, aber ich freue mich darauf! Denn genau diese Kompetenzen vermitteln wir in unseren Sportarten durch den Spirit of the Game: Die Kompetenz der Regelkenntnis und -anwendung, die Kompetenz der gewaltfreien und respektvollen Kommunikation, diejenige der gelebten Freude und des sportlichen Miteinanders, sowie die Kompetenz des Perspektivwechsels, des sich in andere Hineinversetzens, gar Empathie.
    Der 3. Punkt steht im Zusammenhang mit der voraussichtlichen Leistungssportförderung des DFV durch DOSB und BMI.
    Dieser ist vielleicht am schwersten zu fassen. Doch möchten wir gerade auch an der Leistungsspitze eigenverantwortliche und faire Athlet*innen, die als Role Models auf die Jugend und den gesamten Breitensport wirken. Das Bewusstsein über die Kompetenzen kann zu mentaler Stärke führen, es führt aber auch zum Einfordern der Partizipation, die wir uns von den Athlet*innen wünschen, sodass sie aktiv die Zukunft des Sports mitgestalten. Und wo andere Verbände im Bereich Leistungssport auch bei der Schiedsrichter*innen-Ausbildung gefördert werden, kann der DFV in Zukunft versuchen, Ultimate Game Advisor- und Discgolf Official-Ausbildungen zur Förderung zu beantragen.
    Die 4. und unmittelbarste Anknüpfung bietet sich im Bereich der dsj.
    …die die größte deutsche Jugendorganisation ist. Bei allen von ihr geförderten Projekten geht es primär um Bildung, mit dem Mittel des Sports. Und das Mittel des Frisbeesports ist in der Tat ein sehr geeignetes, um Bildung zu transportieren. Gegenseitiger Respekt kann hier im Mittelpunkt stehen, das Erlebnis der Bereicherung durch Vielfalt, das Erlernen respektvoller Kommunikation, die Vermittlung von Freude, psychischer und physischer Gesundheit, oder auch Engagementförderung oder die Förderung von Demokratiebewusstsein. Der Spirit of the Game ist ein Türöffner für wertebasierte Kinder- und Jugendarbeit. Dies kann sowohl sportartspezifisch als auch frisbeesportartübergreifend stattfinden.
    5. und letztens sind insgesamt die Chancen einer stetig besseren Vernetzung gewachsen.
    … …infolge der Aufnahme des DFV in den DOSB. Diese ermöglicht viele Partnerschaften, um verschiedene Zielgruppen in der Gesellschaft anzusprechen, und auch, um organisch weiterzuwachsen, unter der Prämisse, dass Frisbeesport in seinen unterschiedlichen Ausprägungen per se ein „Sport für alle“ ist. Eine gelebte Sport für alle- Exzellenz zeichnet sich dadurch aus, dass Sportarten in der Lage sind, für verschiedene Anforderungen die Regeln anzupassen. Wir können Ultimate Frisbee auch locker vier gegen vier spielen, wenn entweder die Community nicht mehr hergibt, oder wenn etwa die Anzahl der Nationalspielenden im olympischen Kontext nicht mehr Spieler*innen pro Nationalteam erlaubt.

    Durch den erfolgten DOSB-Beitritt hat sich die Perspektive des DFV in verschiedener Hinsicht geändert.

    • Andere Organisationen betrachten den DFV nun als ernsthafter.
    • Dem DFV eröffnen sich dadurch weitere Wachstumsmöglichkeiten.
    • Im Übrigen steht auch die Ausrichtung des Verbands an Good Governance-Prinzipien in vollem Einklang mit dem Spirit of the Game, mit Grundsätzen, die sich Demokratie, Inklusion, Vielfalt, Toleranz und dem Schutz vor Gewalt verschreiben.

    Wir erinnern uns, die Regeln ändern zu können, gehört zu einem möglichen Verständnis des Spirit of the Game. Insofern passt auch die andauernde Aufgabe unserer Organisation sich zu ändern zum Spirit of the Game, der Offenheit, Angemessenheit und die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven fordert.

    Dabei ist es an uns, nicht nur die Regeln zu kennen und zu interpretieren, sondern auch sinnvolle Änderungen anzusprechen und durchzusetzen. Dasselbe gilt für neue Projekte. Es liegt an uns diese zu gestalten. Jedes Projekt erfordert eine Person in Verantwortung. Und diese Verantwortung ist es, die der Frisbeesport vermittelt. Also lasst es uns angehen, auf die nächsten 35 Jahre DFV! Vielen Dank.