Inside Rakete bei den US Open
Interview mit dem deutschen Open Ultimate-Nationaltrainer Stefan Rekitt
Das deutsche Open Ultimate Nationalteam startet unter dem Namen Inside Rakete bei den US Open 2015 (vgl. Kurzmeldung). Das Turnier mit jeweils 12 der weltbesten Open-, Frauen- und Mixed-Teams läuft vom 2. bis 5. Juli 2015 in West Chester nahe Cincinnati. Damit nimmt zum ersten Mal eine deutsche Mannschaft an einem offiziellen Turnier von USA Ultimate teil.
Stefan Rekitt, wie ist es dazu gekommen?
Wir haben schon seit langer Zeit geplant, mit Inside Rakete an einem Turnier in den USA teilzunehmen. Nach dem Gewinn der Bronzemedaille bei der EM 2011 habe ich den Fokus verstärkt auf dieses Projekt gerichtet. Bis dahin galt es zunächst, den Rückstand auf die anderen europäischen Nationen aufzuholen. Hierzu sind wir mit Inside Rakete auf Turniere nach Skandinavien gefahren oder haben uns in London mit Clapham Ultimate zum gemeinsamen Training und für Freundschaftsspiele getroffen. Auf der EM 2011 haben wir dann die Schweden geschlagen und GB Open ein Halbfinale auf Augenhöhe geliefert. Spätestens danach war klar, dass wir außerhalb von Europa nach neuem Input suchen müssen, wenn wir einen Schritt weiter gehen wollen.
Der erste Schritt war, Ben Wiggins zu einem Trainingslager nach Deutschland einzufliegen. Er half uns bei der Vorbereitung auf die WM 2012. Der taktische Input hat das Spiel der deutschen Top-Mannschaften wie Bad Skid und Heidees genauso verändert wie auch das der Nationalmannschaft. Bei der WM in Japan sind wir dann leider unter unseren Möglichkeiten geblieben. Uns fehlte einfach die Erfahrung, um mit den besten Teams der Welt auf einem Turnier mithalten zu können. Das betraf alle Mannschaftsbereiche, auch das Coaching. Das habe ich mir zu Herzen genommen.
Im Herbst 2012 habe ich daher bei Josh McCarthy, dem Trainer von Boston Ironside (Foto), hospitiert. Er gilt als einer der besten Trainer in den USA und hat vorher selbst auf höchsten Niveau mit dem US-Rekordmeister DoG aus Bosten gespielt. Ich habe ihn und Ironside bei den US-Nationals 2012, 2013 und 2014 begleitet und war mit ihm und dem Team bei der Club-Weltmeisterschaft in Lecco letztes Jahr. Wir stehen im ständigen Austausch über alle möglichen Themen rund um den Sport Ultimate. Zur Zeit bin ich wieder in Boston, um mich auf die US Open vorzubereiten und weitere Einblicke ins Training von Ironside zu bekommen.
Ein weiterer Schritt war, dass unsere Spieler unabhängig von der Nationalmannschaft Erfahrungen in den USA sammeln. Bereits 2012 nach der WM in Japan konnten mit der Unterstützung von Ben Wiggins wir Philipp Haas auf der NexGen Tour unterbringen. 2013 konnte Philipp dann nach Vermittlung von Josh McCarthy mit Truck Stop aus Washington, DC auf der USA Ultimate Series und insbesondere bei den US Nationals spielen.
Seit 2013 stehe ich auch mit USA Ultimate in Kontakt wegen der Teilnahme an den US Open (vgl. Fall 2014 USA Ultimate Magazine, S. 13). Letztes Jahr hat es nicht geklappt, weil wir mit den deutschen Club-Teams vereinbart hatten, dass der Fokus in dem Jahr auf der Club-WM in Lecco liegen sollte. Im Januar 2015 haben wir dann die Planungen aufgenommen, um dieses Jahr endlich bei den US Open antreten zu können. 20 Spieler aus dem erweiterten Inside Rakete-Kader sind dabei. Davon 16 Spieler, die auch bei der EM für das deutsche Open Team spielen werden und vier Spieler, die auch bei der U23 WM in London dieses Jahr an den Start gehen.
Was erhofft ihr euch von der Teilnahme an den US Open?
Unsere Zielsetzung bei den US Open dieses Jahr ist nicht ergebnisorientiert. Clapham/GB Open haben in der Vergangenheit wiederholt Turniere in den USA gespielt. Die Spieler, die Mannschaftsführung und das gesamte Team haben so Erfahrungen gegen die besten Mannschaften der Welt gesammelt, die über Jahre hinweg das Training und die Saisonplanung von Clapham/GB Open geformt haben. Soweit sind wir noch nicht. Wir müssen erst diese Erfahrungen machen und die Lehren daraus umsetzen, bevor wir mit einer Mannschaft in den USA antreten können, die konstant auf einem Level mit den US Teams spielen kann. Für uns geht es diesmal zuerst darum, dass wir individuell und mannschaftstaktisch erfahren, welche Dinge wir weiter verbessern müssen. Die US Open sind eine hervorragende Gelegenheit dafür. Allein in der Vorrunde spielen wir gegen fünf sehr gute Teams aus Nordamerika. Diese Gelegenheit und Leistungsdichte gibt es bei einer Club-WM oder Nationalteam-WM nicht. Das gilt auch unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass die US-Teams erst sehr früh in der Saisonvorbereitung stehen, wenn man den Betrieb der Profi-Ligen außer Acht lässt, in denen einige Spieler vertreten und somit schon in der heißen Wettkampfphase sind.
Inside Rakete ist auf den letzten Platz gesetzt. Wie wirst du und wie wird das Team wahrgenommen, als ernsthafter Gegner oder werdet ihr eher nur belächelt?
Die Teams, mit denen ich in Kontakt stehe, haben ein zurückhaltendes Interesse an unserem Programm. Für sie steht die eigene Saison im Vordergrund, auch bei den US Open. Allerdings gibt es immer mehr US-Spieler, die die Entwicklung deutscher Mannschaften und Spieler beobachten. Ich habe mich erst kürzlich mit Jonathan Neeley, Captain von Truck Stop, über die Entwicklung in Deutschland unterhalten. Er kennt Philipp Haas sehr gut, weil er mit ihm zusammen eine Saison bei Truck Stop gespielt hat. Neeley war auch Spieler der US-Mannschaft, die 2013 das Finale beim Windmill gegen Bad Skid gewonnen hat. Dabei hat er beobachtet, dass die Handler sowohl in der Offense auch auch in der D-Line schon sehr stark sind. Es gäbe auch einige starke tiefe Receiver. Neeley ist nun gespannt darauf zu sehen, ob wir mittlerweile auch gute „mid players“ hervorgebracht haben. Das sind Spieler, die dem Gegner sowohl mit in-cuts als auch mit out-cuts weh tun können oder wenn sie im freien Raum isoliert werden. Tatsächlich hatten wir in den letzen Jahren schon sehr starke Handler und wir haben nun verstärkt daran gearbeitet, im Feld aggressiver und zugleich flexibler zu werden.
Es werden einige der größten US Top-Stars zu sehen sein wie Jimmy Mickle (rechts, beim Schreiben von Autogrammen) und Nick Lance bei Johnny Bravo, Joshua Markette bei Ironside, oder auch Beau Kittredge bei Revolver (unten links). Was unterscheidet diese Starathleten, aber auch die US-Topteams von unseren Athleten und Teams?
Die erwähnten Spieler sind extrem gute Athleten und haben ein sehr gutes Spielverständnis. Solche Spieler kann man auch in Europa finden, z.B. Justin Foord oder früher Sebastian Sporrong. Wir haben auch in Deutschland einige Spieler, die über ähnliche Qualitäten verfügen. Christoph Köble war beim Try Out für Boston Ironside unter den schnellsten und wenigstem Spielern. Was uns die Amerikaner voraus haben, ist die Spielerfahrung auf dem höchsten Niveau. Unsere Top-Spieler haben in Europa vielleicht fünf Spiele im Jahr, bei dem auf einem vergleichbaren Niveau gespielt wird. In den USA hat man jedes Jahr bis zu 20 Spiele auf diesem Niveau und auch im Training ist das Level in allen Bereichen höher als bei unseren Club-Teams. Daran arbeiten wir auf unseren Trainingslagern. Außerdem versuchen wir, immer mehr Spieler für eine Saison in die USA zu bringen. Philipp Haas war der Anfang. Jetzt folgen Christoph Köble, Marvin Waldvogel und Jörg Reinert (beide in Oregon). Und wir planen, in Zukunft noch weitere Spieler in die USA zu bringen.
Wenn es um das Wiedersehen mit alten Bekannten geht, auf welche Gesichter freust Du Dich am meisten?
Außer auf die Spieler von Ironside freue ich mich auf Bekannte wie Jimmy Mickle von Johnny Bravo, Toly Vasilyev von GOAT oder Jonathan Neeley von Truck Stop. Aber es ist auch immer interessant mit Medienvertretern wie Evan Lepler von ESPN oder Charlie Eisenhood von Ultiworld zu sprechen. Sie sind in der Szene sehr gut vernetzt und sehen schon früh neue Entwicklungen. Natürlich will ich auch die Kontakte mit USA Ultimate, insbesondere Will Deaver, weiter pflegen. Wir können nicht nur spielerisch von den Amerikanern lernen, sondern unter anderem auch in der Verbandsorganisation. Ich bin natürlich auch gespannt darauf, wie sich die Vorbereitung der US-Nationalteams verändern wird, die bei der WM 2016 erstmals nicht mehr mit Club-Teams, sondern mit echten Allstar Mannschaften antreten werden. Ich habe mich darüber auch schon mit einem Mitglied des Komitees unterhalten, das für die Auswahl der Trainer verantwortlich ist. Ich gehe davon aus, dass diese Teams das Top- Niveau noch einmal deutlich erhöhen werden.
Daneben gibt es auch ein Wiedersehen mit einem Deiner Captains Christoph Köble, der derzeit ein Praktikum in Boston macht und auf dem Turnier bei Ironside mitspielt. Wie bewertest Du seine Aufnahme in das auf zwei gesetzte Team?
Was das Team aus Boston angeht, sie haben einige wichtige Spieler verloren und sind noch früh in der Saisonvorbereitung. Sie werden sich sicherlich schwer tun, zumal einige wichtige Spieler noch verletzt sind oder aus anderen Gründen nicht alle Spiele bei den US Open mitmachen können. Allerdings sind die neuen Spieler talentiert und Boston verfügt über ein starkes System, das aber zu diesem Zeitpunkt in der Saison noch nicht perfekt laufen kann.
Ich habe mit den Coaches und Captains von Ironside viel über Christoph gesprochen. Sie freuen sich auf ihn und sehen ihn als Verstärkung an, vor allem in der Defense. In der Offense wird er noch einige Zeit brauchen.
Ich habe Christoph hier in Boston auch in der Freizeit zusammen mit anderen Ironside Spielern getroffen, z.B. beim Goaltimate oder bei einem MLU Spiel der Boston Whitecaps. Die Spieler scheinen ihn schon jetzt sehr gut aufgenommen zu haben. Ich habe zudem ein Training von Ironside besucht. Auch dort war zu sehen, dass Christoph schon ein richtiger Teil der Mannschaft ist, auf und neben dem Feld. Ich gehe daher davon aus, dass Christoph schon bei den US Open eine gute Rolle für Ironside spielen wird.
Die USA sind als Heimatland des Ultimates den Nationen in Europa und auf anderen Kontinenten immer noch Jahrzehnte voraus. Erwartest Du Dir strategische und taktische Erkenntnisse von dem Aufenthalt dort – oder überwiegen die Konzentration auf das eigene Leistungsvermögen und die Freude dabei sein zu können?
Amerika ist in der Tat das Mutterland unseres Sports und ich persönlich habe mich daher schon früh an den Entwicklungen in den USA orientiert. Ich glaube es war 1992, als mir ein VHS-Video des Finals bei der Club-WM 1991 in Toronto in die Hände fiel: NYNY vs. Boston Big Brother oder in gewisser Weise auch die Geburtsstunde des modernen Ultimate (s. Youtube-Video). Boston hat in diesem Spiel noch die Offense der 1980er Jahre gespielt, im Prinzip eine Fortsetzung der legendären Stanford O. New York hingegen nutze bereits eine eher vertikale Spielausrichtung, insbesondere auch um Kenny Dobyns (vgl. USA Ultimate Hall of Fame) öfter in Position bringen zu können. Wie im modernen Ultimate sieht man bei NYNY viele In- und Out-Cuts während bei Boston viele links-rechts Angebote gelaufen werden. So hatte ich selbst das Cutten in Deutschland gelernt. Heutzutage ist selbst das Handler-Movement größtenteils vertikal ausgerichtet, Up-Line Cuts und J-Cuts zählen zum Standardrepertoire, um möglichst viele Power-Positionen zu generieren.
1993 bin ich dann, damals noch als Schüler, für vier Wochen in den Sommerferien in die USA gegangen und habe in Seattle trainiert und auch ein Turnier gespielt und mir die Teams aus Boston und New York vor Ort angesehen. Diese Eindrücke waren prägend für mich.
Von den US Open erhoffe ich mir, dass wir uns viel von der Professionalität der US-Teams abgucken können. Das sind Dinge, die man auf Videos nicht unbedingt mitbekommt und beinhaltet das gesamte Verhalten der Spieler und Mannschaften vor, während und unmittelbar nach den Spielen. In diesen Bereichen können wir noch zulegen. Das habe ich während meiner bisherigen Aufenthalte in den USA bemerkt. Es ist sicherlich hilfreich, wenn unsere Spieler diese Einblicke selbst vor Ort bekommen. Wie schon gesagt geht es darüber hinaus auch darum, sich individuell und mannschaftstaktisch mit den besten Teams in der Welt zu vergleichen. Wenn wir nur alle zwei oder vier Jahre gegen die US-Teams spielen, fallen wir in der Entwicklung immer weiter zurück. Das haben die Englänger schon früher als wir angegangen. Daher sind sie uns in der Entwicklung auch noch einige Jahre voraus.
Wird es in Zukunft häufiger Ausflüge deutscher Mannschaften in die USA geben?
Das ist mein Plan. Nächstes Jahr wird es für Inside Rakete aber schwer werden, da die WM schon sehr früh im Jahr stattfinden wird. Aber es gibt Gedankenspiele, mit einer U23 Mannschaft in die USA zu fahren. Wenn wir uns weiter so gut entwickeln wollen wie in den letzen zwei Jahren, dann müssen wir regelmäßig auf Turniere in die USA fahren.
Ich sehe auch die Frauen Nationalmannschaft soweit, dass sie die Zeit und das Geld investieren und in die USA fahren. Auch unser Mixed Team hat schon Überlegungen in die Richtung angestellt.
Die US Open sind Teil der Vorbereitung auf die Ultimate-EM Ende Juli und auf die WM nächstes Jahr. Welche Ziele hat Inside Rakete für diese Turniere?
Das Hauptziel für mich ist die WM und die Qualifikation Deutschlands für die World Games 2017 in Polen. Dafür müssen die deutschen Open-, Frauen- und Mixed-Teams in der Nationenwertung auf den 5. Platz kommen. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen.
Bei der EM ist das Finale unser Ziel, aber es wird viel darauf ankommen, wie das Turnier verläuft. Von der Mannschaftsplanung und der taktischen Entwicklung ist die EM wie gesagt ein Zwischenziel. Daher haben wir z.B. ältere Spieler zugunsten von jüngeren Spielern dieses Jahr im Kader nicht berücksichtigt, auch wenn sie von der Leistung vielleicht noch hineingepasst hätten. Wir haben zudem weniger Zonenverteidigung trainiert, auch wenn das bei dem zu erwartenden Windverhältnissen in Kopenhagen eine Rolle spielen könnte. Mit der begrenzten Trainingszeit die wir hatten, insgesamt 13 Trainingstage mit der Mannschaft auf Trainingslagern und fünf Tage jetzt auch den US Open, mussten wir mit Blick auf die Entwicklung für 2016 andere Inhalte in den Vordergrund rücken.
Vielen Dank Stefan Rekitt für das Interview und viel Erfolg Inside Rakete! Die Fragen stellte Jörg Benner.
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